Not Gonna Catch Them All! Gedanken zu Personalienverweigerung in Leipzig

tl;dr: Leipziger Bullen wollen eure DNA; ihr könnt nicht wollen, dass sie eure DNA bekommen; schon darum ist Personalienverweigerung in Leipzig keine gute Idee.

Es wurde schon lange nichts zu Personalienverweigerung geschrieben, jedenfalls nicht unseres Wissens und in dieser Stadt. Wir wollen dies tun. Unsere Diskussionsfrage lautet: Gibt es gute Gründe, in dieser Stadt mit Personalienverweigerung herumzuprobieren, oder gibt es schlechte (und gute, es nicht zu tun)?

Wir werden nicht sämtliche Fälle von Identitätsverweigerung der letzten Jahre zusammentragen und auswerten. Das haben andere sicherlich schon gemacht, aber fraglich ist sowieso, ob sich diese Erfahrungen übertragen lassen aus den Kontexten, in denen sie am häufigsten gemacht wurden – nämlich in Wald- und Grubenbesetzungen – in unsere Stadt.

Uns sind ein paar Beweggründe auf die Frage, warum man die Identifizierung verweigern sollte, bekannt: Der erste hat etwas mit Repressionsvermeidung zu tun, und die Idee ist grob, dass man die Behörden bei einer Festnahme/Identitätsfeststellung vor ein so großes Rätsel stellt oder durch viele Menschen in ihren Kapazitäten so überfordert, dass zumindest einige oder viele oder bestenfalls alle davonkommen, ohne, dass sie identifiziert und unmittelbar und nachträglich bestraft werden können. Ein anderer Beweggrund hat etwas mit Alternativen zum durch den kapitalistischen und sexistischen Klassen- und Bullenstaat gesetzten Ablauf zu tun: Manche Menschen fühlen sich durch diese Vorgehensweise empowert, unabhängig davon, ob die Strafe sie ereilt oder nicht, sondern nur dadurch, dass sie sich widersetzt haben. Es mag noch andere Antworten auf die Frage nach dem Warum geben, aber die meisten scheinen uns eine Mischung aus diesen beiden zu sein: Ausbrechen aus den alten Mustern, die sowieso nicht funktionieren; vermeintlich niedrigschwelliger und kollektiver Umgang mit Repression; und was soll schon passieren, im Zweifel gibt man die Identität preis und es passiert nichts weiter, als das, was passiert wäre, wenn man sie gleich abgegeben hätte.

Wir sind auch nicht zufrieden damit, wie es läuft. Die Folgen einer Teilnahme schon an ausschreitungsfreien linken oder linksradikalen Demos können in Leipzig gravierende Folgen haben. Repression hat diese Stadt stark gelähmt, und manchen ist es vielleicht nicht einmal bewusst, weil sie sowieso nur Subkultur-Linke oder so neu hier oder so jung sind, dass sie es nicht anders kennen. Und auch wir wünschen uns einen besseren, kollektiveren Umgang mit Repression.¹ Auch sind wir unbedingt dafür, neue Dinge auszuprobieren, weil auch wir sehen, dass es nicht vorwärts geht. Aber wir fürchten, dass die mangelnde Übertragbarkeit der Personalienverweigerung aus dem einen in den anderen Kontext und eine unhinterfragte, zu selbstverständliche Übernahme dieser Praxis in Fehlern resultieren wird, die nicht jede:r für sich machen muss.

Eigentlich wurden die bisher bekannten und üblichen Konsequenzen mit ihren Vor- und Nachteilen bereits gut durch Antirepressionsgruppen zusammengefasst.² Vieles spricht dafür, dass die Repression und der Stress eher zunehmen. Wir kennen einige Beispiele, die zeigen, dass Menschen in Fällen der Personalienverweigerung immer eine umfängliche ED-Behandlung (mindestens Fingerabdrücke und Fotos) und ein Aufenthalt in der Gesa drohen.

In dem einzigen uns bekannten kollektiven Identitätsverweigerungsfall innerhalb der Stadt, der DHL-Blockade am Flughafen Halle/Leipzig von CancelLEJ im Juli 2021, mussten die Aktivist:innen einiges über sich ergehen lassen. Sie wurden alle ED-behandelt und mussten ein bis zwei Nächte in der Gesa verbringen; bei vielen wurde die DNA entnommen und Untersuchungshaft angeordnet. Letztendlich haben alle spätestens bei der richterlichen Prüfung der Untersuchungshaft ihre Identität offenbart. Einige stehen nun trotz allem für einen angeblichen Schaden in sechsstelliger Zahl vor Gericht. Dieser Fall hat auch gezeigt, dass das Ziel der Überforderung der Cops und der Überbelegung der Gesa in einer Stadt wie Leipzig bei ca. 50 Personen, die kollektiv ihre Identität verweigern, nicht erreicht ist. Darüber, ob zusätzlich zu der Erfahrung solch massiver Repression etwas gewonnen wurde, können die Betroffenen nur selbst Auskunft geben, aber empowernde kollektive Erfahrungen lassen sich auf jeden Fall auch anders sammeln; das wäre also aus unserer Sicht kein ausreichend gutes Argument zugunsten der kollektiven Personalienverweigerung.

Und einige dieser möglichen kollektiven Erfahrungen kann man nach einer DNA-Entnahme wegen Personalienverweigerung nicht mehr oder nur noch unter viel höherem Risiko machen, wenn zukünftig jede DNA am Tatort sofort zu Treffern führt. Zwar haben Anwält:innen im Fall der CancelLEJ-Aktivist:innen das Gericht dazu gebracht, die Unrechtmäßigkeit der DNA-Entnahme anzuerkennen, aber wir würden niemals darauf vertrauen, dass Bullen Daten und DNA löschen, nur weil sie sagen, dass sie es machen.

Uns sind außerdem mehrere Beispiele aus unterschiedlichen Bundesländern bekannt, in denen die Anordnung von Untersuchungshaft mit der Begründung der Fluchtgefahr bei Personalienverweigerung angewandt wurde (z.B. bei einer Autobahnblockade aus Protest gegen die Rodung des Danneröder Waldes 2020; Cancel_LEJ Leipzig/Halle Flughafen). Sehr häufig war das Ergebnis, dass die Betroffenen bei der Anordnung oder spätestens nach einigen Wochen in U-Haft doch ihre Personalien preisgaben. Dass mehrere Gerichte in solchen Fällen die Anordnung von Untersuchungshaft entschieden und die Erfahrung gemacht haben, dass dies in ihrem Sinne „wirkt“, legt die Vermutung nahe, dass dies in Zukunft weiterhin so angewandt werden wird.

Wir behaupten, dass in den meisten der Fälle, die uns bekannt sind, solche Maßnahmen (24+Stunden-Gesa-Verwahrung, ED-Behandlung mit Fingerabdrücken, DNA-Entnahmen, Untersuchungshaft), welche nicht nur unangenehm, langwierig und oft mit einem Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber Bullengewalt verbunden sind, sondern auch nachhaltige negative Folgen haben – gar nicht vorgenommen worden wären.

Des Weiteren scheint uns Personalienverweigerung als „nachhaltige Strategie“ nicht durchdacht. Wenn eine Person nach erfolgreicher Verweigerung (also ohne Anzeige entlassen) jemals in eine Polizeikontrolle gerät und dabei ihre Identität festgestellt wird, kann sie durchaus für Vorwürfe aus der Vergangenheit belangt werden – denn häufig sind ja mindestens Fotos und vermutlich Fingerabdrücke bei der Polizei gespeichert – und der Abgleich ist zumindest möglich und unserer Ansicht nach denkbar bis wahrscheinlich.³ Die Idee, dass man unidentifiziert aus einer Maßnahme rauskommt und dann keine Repression erfährt, funktioniert also nur, wenn man auch in Zukunft niemals (oder zumindest erst nach Ablauf der Verjährungsfristen) polizeilich festgestellt wird. In dieser Logik müsste man für das restliche Leben immer und überall konsequent die Personalien verweigern. Das halten wir in der Praxis für sehr unrealistisch.

Die Leipziger Bullen sammeln DNA gerade wie Pokemon-Karten: die Türen von WGs und Projekten werden aufgeschossen oder mit Rammböcken geöffnet, um Menschen zu verschleppen und ihnen DNA zu entnehmen wegen der Besetzung leerstehender Häuser oder wiederholten Nichtigkeiten.4 Die Leipziger Bullen kommen mit ein paar Dutzend Menschen mit verklebten Fingern easy klar, weil sie übertrieben Bock, Übung und kein Problem mit mangelnden Zellen haben. Wer einmal die DNA abgegeben hat, muss sich auch Jahrzehnte später noch fragen, ob bestimmte Aktionsformen noch drin sind; auch das ist Repression und kann verspätet zu harten Strafen führen. Das muss in die Rechnung aufgenommen werden, wenn man sich überlegt, in dieser Stadt die Identifizierung zu verweigern. Aus unserer Sicht ist es keine Option, Fingerabdrücke oder unsere DNA abzugeben für etwas, für das man sonst mit ein paar Tagessätzen an Kohle (die die Rote Hilfe zahlt) oder schnell abgeleisteten Sozialstunden bestraft werden würde, und weil das eine sehr weitreichende Entscheidung ist, möchten wir andere ermahnen, das nicht leichtfertig zu tun. Solltet ihr trotzdem zu dem Schluss kommen, es tun zu wollen, bedenkt bitte noch folgende Punkte:

  • Für Antirepressionsstrukturen und ihre Anwält:innen erhöht sich der Aufwand bei der Unterstützung von Menschen, die ihre Identität verweigern, häufig massiv. Bei einer gemeinsamen Aktion mit vielen Menschen, die länger in Gewahrsam sind, denen DNA-Entnahmen drohen oder die spätestens bei der richterlichen Prüfung von Untersuchungshaft eine anwaltliche Vertretung benötigen, muss jede Person jeweils eine:n eigene:n Anwält:in bekommen (Mehrfachvertretungsverbot bei gleicher vorgeworfener Tathandlung). Dies übersteigt häufig die Anzahl an solidarischen, linken Anwält:innen, selbst in einer Stadt wie Leipzig. D.h. euch muss bewusst sein, dass ihr im Zweifel mit eine:r unsolidarischen und/oder schlechten Anwält:in vor der oder dem Haftrichter:in steht.
  • Der EA bleibt in der Regel solange aktiv (also wach und am Telefon), bis alle Menschen aus der Gesa entlassen sind, also im Zweifel auch 48 Stunden am Stück. Das Mindeste ist, dass man ihnen vorher Bescheid sagt, damit auch sie darauf vorbereitet sind und gegebenenfalls nach Unterstützung fragen können.
  • Und auch das eigene Umfeld, welches im Zweifel die solidarische Unterstützung übernimmt, hat einiges zu tun, wenn eine Person – womöglich unvorbereitet – für mehrere Wochen/Monate in Untersuchungshaft ist. Wenn ihr denkt, dass ihr bereit seid, das in Kauf zu nehmen, dann führt rechtzeitig die notwendigen Gespräche und übernehmt Verantwortung dafür, so dass andere nicht ins kalte Wasser geschmissen werden.

Wir würden uns in jedem Fall wünschen, dass Menschen, die eine Identitätsverweigerung für sich in Erwägung ziehen, sich vorher kritische Texte wie den von EA und RH zu Gemüte führen, sich mit den möglichen Konsequenzen auseinandersetzen und anhand dessen eine Einschätzung treffen, ob und wie sie mit diesen umgehen wollen/können.

Not gonna catch them all!

1 Wir verweisen hier auf den wichtigen Text von Kappa, nachzulesen hier: https://knack.news/5773

2 Siehe z.B. den Text vom EA und der Roten Hilfe Leipzig unter https://antirepression.noblogs.org/rund-um-die-demo/personalienfeststellung-verweigern

3 Es muss auch keine reguläre Kontrolle sein, sondern es passiert auch „einfach so“: Selbst ordinäre Bullen erkennen gelegentlich Aktivist:innen wieder; zusätzlich ist immer wieder die Rede von sogenannten „super recognisern“ bei den Cops. Siehe dazu z.B. den Artikel in der RHZ 4/2021 oder diese Perle des MDR: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/dresden/freital-pirna/polizei-super-recognizer-gesichtserkennung-fahndung-100.html

4 Zu DNA-Entnahmen in der Stadt und der Heftigkeit von Hausbesuchen: https://knack.news/6383, https://knack.news/3393, https://knack.news/5367